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  • AutorenbildBerit Bogs

Meditation und die Wahrnehmung von Zeit


Was ist Zeit eigentlich, im alltäglichen Sinne?

Meist doch nur ein gedanklicher Hilfsbegriff, der für das Grübeln über Vergangenes oder Zukünftiges benutzt wird. Man ist traurig (oder froh), dass bestimmte Zeiten vorbei sind oder meint nicht genug Zeit zu haben, weil noch dieses oder jenes zu erledigen ist. Das verursacht Stress.

Wer meditiert, kann Zeit anders erfahren.


Ein Wimpernschlag des Lebens


Das Leben findet aber immer nur genau jetzt statt, in diesem Moment. Wer es schafft, sich dort zu verankern, ist wirklich lebendig. In diesem Sinne ist Zeit auch nur ein Wimpernschlag des Lebens. In dem Moment, in dem etwas auftaucht, ist es schon wieder vergangen.

Ich stelle mir ‚Zeit‘ auch gerne als mathematische Deutung vor: als eine unendliche Annäherung an einen einzelnen Punkt. Meditation und Achtsamkeit schulen die Wahrnehmung dieses Moments - des Augenblicks - und machen deshalb so lebendig. Es ist ein wunderbares Mittel zur Stressprävention.


„Zeit vergeht nicht, Zeit entsteht“


Erfrischend andere Zeit-Wahrnehmungen gibt es auch in anderen Kulturen.

Hier ein, wie ich finde, sehr inspirierendes Gedicht über ‚Afrikanische Zeit‘ - gefunden auf der Hakos-Farm in Namibia.




Afrikanische Zeit

von Peter Spangenberg


Zeit vergeht nicht, Zeit entsteht.

Sie machen Zeit.


Ich habe sie gesehen:

die Makonde-Schnitzer unter dem Strohdach in der tansanischen Steppe:

singend, dösend, wartend,

und auch die Bananenverkäufer am Rande der Straße nach Moshi,

schweigend, plappernd, sitzend,

und auch die Sisalarbeiter auf der abgebrannten Erde des Dorfes,

schwitzend, hockend, gähnend,

die alten und die jungen Leute unter den Feuerbäumen

liegend, hordend, beobachtend.

Es umgab mich in diesem Land die verführerische Faszination der Ruhe.


Aber ich reagierte europäisch und fragte meinen schwarzen Freund:

„Was machen all die Leute da? Sie sitzen und dösen und plappern und warten,

so könnt ihr niemals den Anschluss an den Fortschritt gewinnen.“

„Du hast den Eindruck, unsere Leute sind faul, nicht wahr?“ fragte der kurz dagegen.

Ich verhehlte nicht, dass meine Gedanken zumindest in diese Richtung gingen.

„Was ich jetzt sage“, fuhr er fort, „wirst du kaum verstehen:


Diese Leute sitzen da und machen Zeit. Das alte Afrika kennt auch in seinen

Sprachen keine Form der Zukunft. Wir haben keine Zeit, also können wir auch nicht

über sie verfügen, können nicht planen und uns nicht festlegen.

Alle Zeit ist ein Geschenk.

Sie muss erst entstehen, wir können sie nur erwarten.“


„Und wodurch entsteht Zeit?“, fragte ich.

„Durch Regen“, sagte er,

„oder durch die Geburt eines Kindes,

durch Krankheit – durch Hochzeit – durch eine Begegnung – durch einen Tanz,

durch ein Gespräch oder ein Fest.

Dann ist die Zeit geboren, und wir können in ihr leben.

Dann rechnen wir auch nicht wie ihr Europäer die Zeit nach Tagen und Jahren,

sondern nach Erlebnissen und Ereignissen, mehr noch:

wir rechnen nicht, sondern erfahren.

Dadurch bekommt unser Leben seinen Sinn und seine Hoffnung.“


„Ich will darüber nachdenken“, warf ich ein.

„Das ist schon der erste Fehler“, meinte mein Freund,

„Du musst dich öffnen für das, was auf dich zukommt.“


Mir fiel damals auf, dass alle keine Armbanduhren hatten.

Ich fuhr nach Haus mit dem Gedanken, wie schön es wäre, wenn…


Aber dazu ist es wohl zu spät…

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